Zukunftsfähigkeit

„Das Wirkliche ist Prozeß; dieser ist die weitverzweigte Vermittlung zwischen Gegenwart, unerledigter Vergangenheit und vor allem: möglicher Zukunft.“
– Ernst Bloch

Eine Schülerin sitzt in der U-Bahn. Sie möchte demonstrieren an diesem Tag für die Zukunft, dem Friday for Future. Sie ist klein, sie ist alleine unterwegs, aber sie hat große Ideen, die sie mit vielen Menschen teilen wird, dort, auf diesem Demozug. Manche werden still mitlaufen, so wie sie, manche werden tanzen und Schilder mit Protestsprüchen hoch halten, andere werden versuchen, laut zu sein:

Wir sind hier
Wir sind laut
Weil man uns die Zukunft klaut.

Vor 10 Jahren hätte man dieser Schülerin noch vorgeworfen, sie wäre unpolitisch, sie hätte null Bock. Jetzt wirft man ihr vor, hysterisch zu sein und nur die Schule schwänzen zu wollen. Das ist ihr egal. Es interessiert sie nicht, dass sie auf eine Generation folgt, die noch nie so wie zu vor an den Arbeitsmarkt angepasst war. Dass die Generation vor ihr auch Zukunftsangst hatte, allein wenn eine 4 im Zeugnis stand und Personaler genau hinschauen. Ohne es zu wissen oder zu wollen, hat diese Schülerin eine Globalperspektive eingenommen. Es geht nicht um ihre Zukunft als Bankkauffrau, es geht um unsere Zukunft, die Zukunft von allen, von allem. Noch immer wird Wachstum gepredigt. Die Schere zwischen arm und reich spreizt sich erwiesenermaßen beträchtlich und zunehmend, insbesondere wenn man das globale Nord-Süd-Gefälle einbezieht. Die Temperaturen steigen. Die Wetterkatastrophen nehmen zu und werden intensiver. Die Automobilindustrie beklagt Verluste. Nein, sie beklagt keine Verluste, sie beklagt, dass ihr Gewinn geringer ist, als zum selben Zeitpunkt im Vorjahr. Alte, weiße Männer sagen, das gibt es gar nicht: Menschen gemachten Klimawandel. Aber ihr ist klar, in aller Naivetät und darum um so umfassender: Das Ende der Welt ist das Ende von allem und jedem. Jedes Tier, jede Pflanze, jeder Mensch, jeder Autofahrer, jede Politikerin. Nichts bleibt übrig. Man beraubt sie um eine ganz besondere Fähigkeit: der Zukunftsfähigkeit. In dieser speziellen Krise fehlt das noch Nicht. Das Prinzip Hoffnung droht zu versiegen. Es ist der globalen Politik- und Wirtschaftselite zu verdanken, dass TINA alles auffrisst. TINA ist das Akronym für There is no Alternative, es gibt keine Alternative. Dieses Ungeheuer, was kaum mehr als eines von vielen Narrativen wäre, hätte es nicht die zentrale Aufgabe, alle anderen auszustechen, wuchs die letzten Jahrzehnte beständig. Sie bürgt für eine Zukunft ohne Möglichkeiten. Nun beschweren sich jene Politik- und Wirtschaftseliten, und mit ihnen ein solides Arbeiter-, Faschisten-, Ideologen- und Skeptikergefolge, dass der Klimaschutz so ausschließlich formuliert wird. Dass er sie ausschließt und ihre Gewinne, ihr Volk und ihren Arbeitsplatz bedrohe. Die eigentliche Klimawahrheit ist, dass viel mehr Jobs um die regenerativen Energien verloren gegangen sind, als es in der Kohleindustrie möglich wäre, weil sie benachteiligt werden; dass ganze Dörfer und ihre Traditionen vernichtet wurden, um Braunkohle abzubauen; dass das E-Auto jetzt schon Auslaufmodell ist, bevor man es richtig begonnen hat zu fördern. Derlei Wahrheiten gibt es viele. Ihre Lobby sind all die Schülerinnen und Schüler der Fridays for Future und ihre Sympathisantinnen und Sympathisanten. Es gibt eine Alternative. Es gibt den Abglanz einer Utopie in unserer Gegenwart. Er flimmert. Es ist der Versuch, sich seine Zukunftsfähigkeit gemeinsam zurück zu erlangen. Was Ernst Bloch als philosophische Tatsache herausgearbeitet hat, muss gerade mühselig erhalten bleiben: der Prozess des Wirklichen, damit er nicht stehen bleibt. Das ist die Stärke der Schülerin, die auf dem Weg zur Demo ist. Sie hat kein Einkommen, keine politische Macht, keine Druckmittel; sie ist still, klein und jung. Aber sie ist Utopistin. Sie sieht, dass es unmöglich ist, so weiter zu machen, wie bisher. Sie ist Kritikerin des Bestehenden und des Vergangenen, das sehr viel unerledigtes zurückgelassen hat. Sie muss die Welt nicht in einer Gesamtheit durch Zahlen vor sich ausgedrückt sehen, denn die Welt gibt ihr Anlass genug zu denken und aufzustehen; die Welt denkt sich in ihr, weil sie offen dafür ist und deshalb versucht sie, ihr zu scheinen, ein Licht zu sein.

Fridays for Future
March for our Lives
Und all den anderen
Danke

www.erkenntnispraxis.de

Scherbenhaufen

für Mary

Seit du weg bist, blicke ich auf einen Scherbenhaufen. Während ich die Wege meiner spärlich beleuchteten Wohnsiedlung ablaufe, Schritte. Niemand zu sehen. Von Hinten überholt mich mein eigener Schatten, wächst, bäumt sich vor mir auf, bedrohlich. Verblassend im Angesicht der nächsten Straßenlaterne, ein Spiel. Spielende Kinder. Spiel Ende, Kinder. Ein fauliger Abdruck eines Ahornblattes, rückständig auf einem Pflasterstein. Mein Körper ist desintegriert, seit du weg bist. Leichenteile, lose. An Strom angeschlossen zucken sie wie Galvanis Froschschenkel. Irgendwie. Manchmal glaube ich, sie würden gern etwas wollen, dann aber verlieren sie sich wieder in Zufälligkeiten. Ein Kopf ohne Herz. Ein Herz ohne Bauch. Ein Bauch ohne Rückgrat. Ein Rückgrat ohne Bandscheiben. Bandscheiben ohne Knochen. Seit du weg bist. Meine Augen starren viel zur Zeit. Kaum etwas starrt zurück aus der Dunkelheit. Ich bringe mich um, denke ich mir. Nein, ich denke nicht. Ich mach es. Natürlich nicht. Keine Absichten, aber Bilder davon in meinem Kopf. Eine Hausschnecke auf dem Boden. Der Boden fängt mich.

Geistheilung. Eine Komödie in 3 Akten (2/2)

Vorheriger Teil (1/2)

Nach einer Weile
Heidi: Also so gut war es seit Wochen nicht.
Renz: Aber die Schmerzen sind noch da?
Heidi: Sie sind nicht ganz weg, aber ich kann meinen Kopf viel besser bewegen als vorher. Das ist ja Irre!
Renz (scherzend bestimmt): Nein, du bist nicht irre!
Heidi: Aber wirklich, so gut war es schon lange nicht mehr.
Renz (unbefriedigt): Aber die Schmerzen sind noch da?
Heidi: Ja.
Renz: wo genau?
Heidi ringt nach Worten, die Renz noch nicht gehört hat und führt ihre Finger wieder über die linke Schulter-Nackenpartie
Heidi: Hier so am Nacken. Der Muskelstrang ist da noch so stark spürbar.
Renz: Dann tu mal das, was ich dir sage.
Heidi bereitet sich vor
Renz: Kopf nach links drehen –
Heidi dreht ihren Kopf nach links
Renz: Kopf nach rechts drehen –
Heidi dreht ihren Kopf nach rechts
Renz: Kopf nach oben –
Heidi schiebt ihr Gesicht zur Decke
Renz: Kopf nach unten –
Heidi senkt sich demütig zu Boden
Renz: Wie ist es nun?
Heidi spürt nach
Heidi: Doch ist noch da, aber wirklich: so gut war es ewig nicht!
Renz (sichtlich unzufrieden, aber guter Dinge): Dann müssen wir noch nachbessern. Lass uns Händchen halten.
Chor: gelächter
Renz: Ja, da mach ich immer einen Witz, aber das ist besonders wichtig für die Verbindung. Ich mach das nicht nur, weil ich gerne Händchen halte.
Renz nimmt diesmal nur ihre beiden Zeigefinger, bereitet sich auf seine Trance vor
Renz: Nochmal bitte all eure Herzensliebe an Heidi. Schließ die Augen.
Einige Augenblicke später
Renz: Wie ist es jetzt?
Heidi reckt ihren Kopf in alle Richtungen
Heidi: Also es tut schon noch –
Renz springt auf, stellt sich zur ihrer Rechten
Renz: Wo genau?
Heidi (deutend): Hier so, der Nackenstrang.
Renz legt andächtig seine Hand auf ihren linken Nackenmuskel und nimmt dabei Heidis kleinen Finger ihrer linken Hand in seine rechte Hand. Er schließt die Augen, sie tut es ihm gleich. Nach einer kurzen Weile wechselt er vom kleinen Finger auf den Ringfinger, dann auf den Mittelfinger und schließlich auf den Zeigefinger. Weitere Zeit vergeht. Beide öffnen die Augen, er lässt von ihr ab in Hoffnung
Renz: Wie ist es nun?
Heidi (prüfend): Nein, also vielleicht ein bisschen besser, aber ernsthaft: so gut war es noch nie. Das ist der Hammer!
Renz: Nein, du bist auch kein Hammer. Manchmal braucht der Kopf noch etwas, bis er merkt, dass der Geist gesund ist. Du bist gesund!
Heid: Irre – Wow.
Renz: Danke Heidi und danke euch für die Herzensliebe! Wir konnten Heidi helfen kraft Ihrerselbst und dank Gott.
Ich kann jetzt noch was erzählen oder sollen wir gleich eine fantastische Meditation machen?
Heidi integriert sich nach einem letzten Händedruck währenddessen in den Chor zurück
Frau aus Chor: Erzählen.
Renz: Mh?
Frau und Mann aus Chor: Erzählen sie doch noch was, ich würde –
Renz: Meditation?
Frau aus Chor: Ja, Meditation.
Chor (einstimmend): Ja, Meditation.

Akt 3

Renz geht zu einem billig aussehenden Abspielgerät, welches seine zertifizierte Meditationsmusik bereits in CD-Form enthält. Er schaltet es an, dreht auf. Es klappert, knarzt in den Ohren. Vom Rücken her hält der Messelärm dagegen.
Renz: Ist das laut genug?
Chor: stummes Nicken
Renz: Wir setzen uns entspannt hin, mit gerader Wirbelsäule. Wir erden unsere Füße ganz bewusst. Jeder von euch formuliert nun einen Wunsch, einen Auftrag. Ihr müsst ihn niemandem verraten.
Mit markiger Stimme, österreichischer Dialekt, ist Renz versucht, sich zwischen dem Lärm bemerkbar zu machen. Er redet von unserem schweren Körper, von den Regenbogenfarben, die der Chor sich vorstellen solle –
Renz: fantastisches „Arange“, ein kräftiges Rot, ein leuchtendes gelb – und schließlich: ein göttliches Violett. Wir versinken in diesem Violett. Wir erheben unseren Geist zu diesem Violett. Nun stehen wir vor der Himmelspforte. Wir klopfen an.
Renz beschreibt, wie wir eintreten, was es dort alles schönes gibt – er scheint wohl häufiger dort zu sein –, wie wir dort geheilt werden. Dann gilt es, die Rückreise anzutreten. Wir durchlaufen alles noch einmal rückwärts – die Pforte, den Regenbogen – und kehren schließlich in unseren Körper zurück
Renz: Nun macht jeder nach eigenem belieben die Augen auf, damit ist unsere göttliche Meditation beendet.
Renz dreht die Musik ab
Renz: Ich hoffe, es geht euch allen gut – besser als vorher. Ich mach das schon ganz lang. Ich wollte euch teilhaben lassen an meiner Lebens- und Heilerfahrung. Denkt daran, was man auch im Alltag machen kann. Was jeder so für Hintergründe hat. Positives Denken ist auch positives Leben. Wenn ein Auto euch schneidet „ah dieser Idiot!“, aber wer zieht den Kürzeren? Vielleicht hatte er einen üblen Tag. Auch die vielen Bildschirme, das ist alles Stress, der macht krank. Man muss jetzt nicht aufs Handy verzichten, ich habe auch eines,
Renz zeigt sein eigenes, altes Handy hervor, auf dem ein ungewöhnliches Symbol prankt. Im Nachhinein stellt sich heraus, es handelt sich dabei um eine Energiekarte, die die schlechte Energie des Handys absorbiert.
Renz: etwas älter – aber Strahlungsärmer. Gibt es noch Fragen?
Mann aus Chor: Vor ihrer Heilung haben sie da so ein Gerät benutzt. Um was handelt es sich dabei?
Renz: Das ist ein MED-Tensor, der macht die Schmerzen sichtbar. Weitere Fragen?
Keine Fragen
Renz: Dann wünsche ich noch einen schönen Abend, kommt vorbei an meinem Stand noch bis 19 Uhr.

Renz packt ein und ab.