Blau. Mehr konnte ich nicht wahrnehmen, etwas anderes sah ich nicht. Es waren Formen und etwas Junges und Ungeschicktes, aber so sehr Liebenswertes an ihr. Aber das sind nur belletristische Formulierungen.
Tatsachen.
1. Ihr Gesicht war Zucker. Ein leuchtender, unschuldiger Mond mit zarten Lippen unter einer geblümten Maske, eine goldene Brille, die ihr sehr gut stand und verlängerte Wimpern, wie das so Mode war und dem Zucker etwas, eine kleine Prise Schärfe verlieh. Dazwischen schokobraune Augen.
2. Leichtes, langes Haar, voluminös am Ansatz. Zwischen schwarzbraun und dunklem rot schimmernd. Das Haar, mit dem sie gerne unauffällig spielte, bedeckte ihre Schultern.
3. Ihr obszön weiblicher Körper, nur bedeckt von einem etwas zu engem, etwas zu kurzem Trägerhemdchen in Blau. So viel Blüte und Frucht, so knapp bedeckt. Sie war der Frühling und die verdorbene Maria. Eine nährende Aura ging von ihr aus.
Scheiße.
Ich glaube, sie flirtet mit mir.
Ich glaube, sie sieht immer her.
Ich glaube, sie streckt sich absichtlich provokant und zieht ihr enges Top nach unten zurecht, presst ihr großen Brüste nach oben.
Ich glaube, sie hat mich heimlich fotografiert, ich habe extra dafür posiert.
Ich glaube, sie weiß, dass ich sie heimlich fotografiert habe.
Wir sitzen im Zug, ICE von Hamburg nach München, schräg gegenüber. Hannover.
Ich sitze scheinbar auf einem reservierten Platz. Hat sie sich gerade über den Tisch ihres Viererplatzes gebeugt, damit ihre schweren Brüste ihr Decollete freilegen?
Ich rücke eine Sitzreihe nach vorne. Sie ist keine zwei Meter mehr von mir entfernt. Sie ist mit ihrem kleinen Bruder unterwegs, spricht mit ihm über den Tisch hinweg. Ich weiß nicht, was ich zu denken habe.
So wie sie da sitzt, in die Ecke gelehnt, scheint die Sonne zwischen ihren Brüsten durch ihr Oberteil. Jede Bewegung von ihr spricht. Ich zweifle. Kann das sein?
Ich verzweifle. Ich will, dass sie mich will und ich will sie. Unsere Blicke treffen sich zum ich weiß nicht wievielten Male, meine Lust zu ihr wirkt zwischenzeitlich vertraut. Sie fährt mit ihrer Hand zwischen Oberteil und Brust in ihrem BH, doch sie richtet nichts. Sie streichelt. Oder kratzt sie sich?
Bordservice. Ein kaltes Getränk täte mir gut. Er bedient die Person neben mir. Offensichtlich legen wir es beide darauf an: Unsere Blicke haften unerträglich lange aneinander. Was dann doch sehr kurz ist. Im Ausweichen sehe ich, dass jetzt Reservierungen angezeigt werden: Hamburg – Fulda. Ich muss nach München. Wie alt ist sie überhaupt? Jung.
Zu jung? Ihr Bruder steht auf, um auf die Toilette zu gehen. Jetzt. Jetzt steigt der vorprogrammierte Frust auf. Ich würde gerne Schreien
ICH WILL DICH!
aber ich wusste vom ersten Moment an, dass ich das nicht tun werde. Vielleicht lebe ich nur noch für meine ungestillten Vorstellungen.
Die Landschaft. Göttingen. Kassel. Wollust. Ein archaisches Wort. Noch zwanzig Minuten bis Fulda. Die Reservierungen werden unterdessen nicht mehr angezeigt. Was wird geschehen? Sie sieht, dass ich schreibe. Ich schreibe in großen Lettern
ICH WILL DICH!
und drehe mein Heftchen um.
Ich bin aufgeregt. Wird sie es sehen? Ich fühle mich albern. Wird sie es sehen? Ich fühle mich klein – immer kleiner. Wird sie es sehen? Ich brauche ihre Nahrung
–
Sie steigt aus. Ich glaube, ihre Mutter hat sie gerade vom Bahnhof abgeholt.