Nis-Momme Stockmann: Der Fuchs

Der Fuchs ist ein Buch, in dem sich nichts zusammenfassen lässt, ohne sich der Mittäterschaft an der Verwirrung der Leserschaft schuldig zu machen. Die meiste Zeit aber ist es groß. Es ist viel größer als seine Leserinnen und Leser. Es ist übergroß. Und plötzlich – zumindest für jene Nichtsahnenden, Gutgläubigen plötzlich – zieht der fiktive Autor seinen Kopf aus der Schlinge. Sie zieht sich zu und greift in das Nichts. Über hunderte Seiten wollte man etwas an diesem Buch dingfest machen, dass sich so windet, auf so vielen Ebenen. Doch dann: nichts. Kein Hals, den die Schlinge umfasst. Keine Flüssigkeit mehr, die den Trichter der Seiten hinunterrinnt. Nur noch nutzloses Werkzeug. Ein System, dass sich selbst überführt bzw. überführen würde, wäre es daran interessiert. Eine einzige, große Enttäuschung.
So weit der Schreck, jetzt eine kleine Wendung: Wir müssen über Enttäuschung in der Kunst sprechen. Kunst enttäuscht ständig. Das ist: Sie entspricht nicht unseren Erwartungen, unseren Ansprüchen. Das ist: schlechte Kunst; zumindest für uns, die wir enttäuscht sind. Das ist: nicht der Fuchs. Der Fuchs enttäuscht, weil er sich zur Aufgabe gemacht hat, zu enttäuschen.
Man ist auf der Fuchsjagd. Man war während der dämmrigen Stunden im Wald; man war schon die Tage davor auf Fährtensuche und sieht die Zugänge zum Bau, den Kot, Spuren im Morast. Doch dann steht die Sonne hell am Himmel, erleuchtet alles in obszönem Glanz und kein Fuchs hat sich je vor uns gezeigt. Denn der Fuchs wittert uns. Man muss also sagen: der Fuchs ist sich selbst als feinsinniges, listiges Tier gerecht geworden und hat uns ausgetrickst. Er ist schon vor einer ganzen Weile an ganz anderer Stelle aus seinem gewundenen Fuchsbau verschwunden. Und wir? Sind enttäuscht, dass er sich nicht gezeigt hat. Sogar wütend, weil uns unsere Erwartungen so erbärmlich erscheinen im Angesicht der vorbestimmten Wirklichkeit. Werfen wir das dem Fuchs vor? Nein. Er ist nur deshalb interessant für uns, weil er nicht wie ein Hund mit seinem Stock auf uns zugerannt kommt. Will sagen: das Anziehende an ihm ist unsere Enttäuschung.
Das Buch von Stockmann ist diese Enttäuschung. Darin erst hat es seiner selbst sich versichert. Wir bleiben unterdessen auf der Erde und ärgern uns, dass wir nicht mit dem Fuchs abheben dürfen, obwohl er es uns doch in Aussicht gestellt hat. Füchse in der Literatur sind in der Regel verwandt mit Reineke, auch dieser. Das muss man als Leserin und Leser erst einmal verkraften. Aber dann kommt hoffentlich der Zeitpunkt, an dem sich die Faszination für diesen Coup einstellt. Man wurde schließlich nur virtuell betrogen und das auf eine unglaublich unnachahmliche Weise. Vermutlich drückt sich in den vergangenen Zeilen nicht gerade die große Begeisterung aus, die dieses Buch verdient. Aber vielleicht ist das auch nur ein weiterer Haken des Fuchses – oder die vergnügte Rache eines überwältigten Lesers.

Der Fuchs
Nis-Momme Stockmann
Rohwolt Verlag
ISBN: 978-3498061531

Dea Loher: Am schwarzen See

Ein szenisch-kritischer Dialog zu Dea Lohers Drama „Am schwarzen See“, erstveröffentlicht 2012:

A: Endlich können wir
B: Du hast recht jetzt müssen wir
A: Also es ist so
kennst du Aristoteles
B: Ich versteh schon du meinst seine
A: Ja
ganz genau seine Dramentheorie
Pause
A: Am Ende der Tragödie
steht immer die Katastrophe und schließlich die
B: Jaja die Reinigung und
A: Aber was passiert wenn die Katastrophe zu Beginn
also
vor Beginn des Dramas geschieht
B: Vermutlich bleibt eine Wunde
statt einer Heilung

B: Johnny und Else besuchen Cleo und Eddie am
A: Am Schwarzen See
B: Jaja am Schwarzen See
A: Ich dachte die kämen nicht wieder
B: Aber warum überhaupt ein Drama lesen
ohne Bühne
verstehst du
A: Was soll das
Fritz und Nina
B: Die Kinder der beiden Paare
A: Ja
die spielen die Hauptrolle und nie
nie
B: nie auf der Bühne
A: nie wieder
schweigen
Und du redest davon ob man Dramen lesen sollte
B: Hast du schonmal oder nicht
Die Unmittelbarkeit der Dialoge
Pause
Das kann keine Prosa
A: Auch keine Lyrik
B: Die Tragik liegt in der Ellipse
A: So wie in der Lyrik
Pause
B: Gespräche führen
das ist unser täglich Brot
darin lebt das Drama
darum liest man Dramen

A: Weißt du was Nietzsche
B: Nietzsche
A: Ja
Weißt du was Nietzsche zu Rhythmus in der Sprache sagte
Warten
Er sei abergläubische Nützlichkeit
der Rhythmus ist ein Zwang
gar die Götter beugen
ja sie streuben nicht
und das leise Tiktak
sägt sich in die Ein
Geweide
B: Dein jambisch ist lächerlich
A: Und die Tragödie benötigt seiner nichteinmal
bruchstückhaft um uns ohne Härte in die Knie zu zwingen
B: Und das soll gut sein
A: Das ist erschütternd

B: Vier Menschen zwei Paare
A: Ein Tetralog
Das ist Mode
B: Das passt
A: Reden miteinander
B: Übereinander
Pause
B: Gegeneinander
A: Füreinander
B: Gegen das Verschwinden
Schweigen
B: Bleibt doch einfach
A+B: Hier