Drei Uhr. Ich schlafe nicht. Denn ich bin krank. Ich bin arbeitsunfähig. Arbeiten deprimiert mich. Arbeiten ist inspirationslos, leblos, in einem kapitalistischen Zusammenhang. Ich bin arbeitsuntüchtig. Würde mich ein Therapeut aufnehmen? Mich behandeln, gezahlt von gesetzlich erhobenen Geldern? Der Leidensdruck ist authentisch. Würde ich eine kognitive Verhaltenstherapie beginnen, in der ich arbeitsmarktkonforme Denkmuster entwickeln sollte und fit für den Arbeitsmarkt gemacht würde und mich unter die Arbeiter mischen dürfte? Ich könnte ja einer Gewerkschaft beitreten und Dinge verbessern, damit alle gerne arbeiten. Arbeit raubt mir mein Dasein. Cogito, sum. Was wenn ein Gedanke zwei Tage benötigt? Er wird notwendigerweise von einem Arbeitstag vernichtet. Bin ich krank? Oder bin ich gestört? — Oder gibt es keine Legasthenie, wenn es keine Rechtschreibung gibt?

Leute haben einen Lieblingsstreamingdienst, aber keinen Lieblingsapfel. Gibt im Supermarkt eh nur zwei: rot oder grün.

Kurierprotokoll

Kein Wirtschaftsliberaler braucht mir die Mähr von kapitalistischer Vielfalt aufschwatzen. In den neuen Wohngebieten entlang der S-Bahn sind pro Brücke ein Aldi, ein Rewe oder Edeka und ein Rossmann oder DM. Drinnen dann überall das gleiche: milder Yoghurt, cremiger Käse, sanfter Orangensaft, sahniger Pudding, milde Gurken. Ich verrate euch was: ich will es sauer, bitter, kernig. Ich will, dass alles nach dem schmeckt, was es ist. Ich bin hungrig nach Leben und Sensationen. Die marktgleichmacherei kotzt mich an. 50 Kirschyoghurts, aber keiner mit ausschließlich echter Kirsche. Was ist das für eine Verarschung? „Der Konsument will das so.“ Nein, ihr habt den Konsumenten dazu getrimmt, dass sein Fleich rosa aussehen muss, dass er die neueste Chipssorte dringend will und dass er glaubt, Marken machten sein Lebensgefühl geiler.

Kurierprotokolle #6

Es gibt unterschiedliche Maschinen. Die Apathischen, die dich verstümmeln; und die Prothesen, die dich aufbauen. Die Apathischen findest du in der Industrie. Sie sind Machtinstrument gegen deine Integrität. Sie müssen dich brechen, damit du weiter in deinem Schlachthof arbeitest. Vergiss dabei nicht, dass die Maschinen deine Verbündeten sind. Jene, die dein Fließband produzieren, sind das Problem – und übrigens auch keine Vorbilder, sondern im intimsten Fall dein Feind. Denn was da fließt auf dem Fließband, sind nicht die extatischen Ströme deines Körpers. Du stehst still. Es ist der Strom der Warenproduktion, der kapitalistische Orgasmus. Das Fahrrad hingegen gehört zu den Prothesen, es macht uns zu Prothesengöttern. Die Fahrradmaschine lässt uns in den öffentlichen Raum eindringen und den Autoverkehr stören. Mit ihr sind wir schön. Unser Strom in den Beinen bringt uns in den Fluss der Stadt. Wenn wir ausreichend viele sind, bestimmen wir, wie die Stadt fließt. Doch das Unbehagen in der Kultur wird bleiben.

Ein Experiment nach Theweleit: Männerphantasien; Freud: Das Unbehagen in der Kultur; Deleuze/Guattari: Der Anti-Ödipus.

Es beschleicht mich eine Furcht, dass alles, was Zusammenhänge erklärt, alles, was die uns umgebende Welt besser verständlich macht, kapitalistisch ausgebeutet und abgegriffen werden wird. Deshalb soll meine Philosophie nichts erklären. Sie soll eine Verunsicherungspraxis sein und erschaffen.

Ich würde gerne eine Sprache sprechen, die immun ist gegen eine kapitalistische Vereinnahmung und infolge eine Abschleifung. Ich denke an Walter Benjamin, der sich für seine Begrifflichkeiten erhofft hatte, sie seien für den Faschismus untauglich (Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit“).