In der Fluchtlinie deines Zuhauses und eines nahegelegenen Lidls befindet sich ein kleines Bordell. Du hast dich schon häufig gefragt, warum man die Sexarbeiterinnen nie zu Gesicht bekommt. Die Antwort ist vermutlich ganz einfach: Sie sehen in ihrem Alltag aus, wie alle anderen Menschen auch. Heute jedoch war die Ausnahme. Aus dem Gebäude des Bordells ging eine gut, aber gezielt unbetont gekleidete Dame Richtung Discounter, um etwas einzukaufen. Durch die dunkle Sonnenbrille schienen sehr lange, gemachte Wimpern. Die Sonnenbrille saß auf erhöhten Wangenknochen. Stark aufgespritzte Lippen waren mit Lipgloss benetzt. Unter der Baseballcap drang wallendes, gefärbtes Blond. Der weite Pullover hatte Schwierigkeiten, die immens großen Silikonbrüste zu verdecken. Der dünne Mantel legte sich auf einen Brasilianbutt. An dieser Person war alles vergrößert, versetzt oder entfernt, was sich mit chirurgischen Mitteln machen ließ, mit dem Ziel, perfekte Gleichförmigkeit zu erreichen, mit dem Ziel, ideal übersteigerte Fortpflanzungsbedingungen zu mimen; kurz: fuckability auf ein Extrem zu steigern. Sie war durch und durch künstlich. Ein Kunstprodukt einer gänzlich kultivierten Gesellschaft. Kult – Kultur – kultiviert – Kunst. Alles ein Symptomverband. Sie ist die Ikone dieses Zusammenhangs und opfert viel dafür. Sie setzt ihre körperliche Unversehrtheit aufs Spiel. Sie schränkt sich in ihrer Beweglichkeit ein. Sie zahlt viel Geld und Zeit für die Operationen und die Genesung. Ein leuchtendes Symbol unserer Kultur in einem schattigen Bereich unseres Oikos.

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